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18. August 2017
"Lass’ mal was machen – was Größeres"
BZ-SERIE "VEREINE DER ZUKUNFT, ZUKUNFT DER VEREINE":Die Sportfreunde Grißheim füllen die Vereinskasse mit dem Ausrichten von Großveranstaltungen.
NEUENBURG AM RHEIN. Das Markgräflerland hat ein vielfältiges Vereinsleben, das gesellschaftlich von erheblicher Bedeutung ist. Tatsache ist aber auch, dass es zahlreiche Herausforderungen gibt, die einen Verein vor Probleme stellen können. Von der Überalterung über die Verteilung von Vorstandsaufgaben bis hin zum Umgang mit neuen Medien. In dieser Serie will die Badische Zeitung Vereine vorstellen, die sich auf ganz eigene Weise diesen Herausforderungen stellen – und das erfolgreich. Heute: die Sportfreunde Grißheim.
Der Rasen auf dem großen Spielfeld der Fritz-Meier-Sportanlage ist tadellos in Schuss. Seit drei Monaten ist dort ein Mähroboter Herr übers Grün und gerade dabei, sich aufzuladen. "Wir sind der einzige Verein im Fußballbezirk Freiburg, der einen Mähroboter hat", berichtet Achim Herr, Vereinsvorstand der Sportfreunde Grißheim, stolz. 17 000 Euro hat der Rasenmäher gekostet, 40 000 Euro ein zusätzlicher Aufsitzrasenmäher. Bei 20 000 Quadratmetern Fläche der Fußballplätze sind beide eine große Erleichterung.Werbung
Es begann in der Zeit, als Achim Herr in den Vereinsvorstand gewählt wurde. Das war 1993, damals war er 21 Jahre jung, Vorsitzender wurde er 1998. Damals verjüngte sich der Vorstand, öffnete sich für Vorgehensweisen abseits der üblichen Wege. Und dann kam eines Tages ein befreundeter Konzertveranstalter von der Agentur Rappenecker zu Achim Herr: "Lass’ mal was machen", sagte der, "was Größeres." Daraus wurde 2004 eine SWR-Veranstaltung, mit Heino, den Geschwistern Hofmann und Mara Kyser. 20 000 Euro Kosten, 1000 Leute im Festzelt auf dem Sportgelände, die Veranstaltung war ausverkauft. Es folgten SWR 3-Dance-Nights und SWR 1-Partys, 2010 dann das 90-jährige Jubiläum der 1920 gegründeten Sportfreunde Grißheim – mit der Uwe Seeler Traditionself. "Viele im Ort dachten, wir nehmen sie auf den Arm, als das bekannt wurde." Achim Herr grinst. Ein Jahr lang sei es "richtig anstrengend" gewesen, sagt der heute 45-Jährige, aber es hat sich gelohnt.
Weit mehr als 100 Sponsoren waren beteiligt, 2000 Zuschauer kamen, und die Sportfreunde machten sich in der Region einen Namen. Sie nahmen mehr als 40 000 Euro ein und steckten sie in weitere Events. Damals nahmen sie sich vor, in sechs bis sieben Jahren schuldenfrei zu sein. Ein ehrgeiziges Ziel. Für den Umbau und die Erweiterungsarbeiten hatte der Verein 90 000 Euro Schulden gemacht, hinzu kamen 10 000 Euro Altschulen. "Mit den üblichen Einnahmen aus Festen und Hocks kommen Sie nicht weit", sagt Herr. Aber mit den Großveranstaltungen und verbunden mit Sponsoren, die einen Großteil der Fixkosten abdecken.
Also machten sie weiter. 2011 mit einem Open Air mit der Band Geier Sturzflug und dem ersten Oktoberfest in der Rheinhalle Grißheim mit baden.fm. "Das war ein Knaller", sagt Herr. "Wir sind überrannt worden." Seither findet das Oktoberfest jedes Jahr statt. "Da verdienen Sie richtig Geld, das macht richtig Spaß." 2013 durften die Sportfreunde das Fußballbezirkspokalendspiel des Fußballbezirks Freiburg mit 2400 Zuschauern ausrichten.
kommen Sie nicht weit"
Achim Herr
"Das Geheimnis ist es, überregionales Publikum anzusprechen", sagt Herr. "Dann funktioniert’s." Ein Großteil der Veranstaltungsbesucher komme von auswärts – Einheimische seien eher nicht dazu bereit, Geld zu bezahlen. Dazu brauche es Ideen, Kontakte, und die Umsetzung müsse stimmen; besonders wichtig ist aber, einen Macher zu haben und welche, die mitziehen – "und das klappt mit den Leuten hier super". Um ihn, um Achim Herr, zentriert sich alles, er gibt die Richtung vor. Seine 40 Mitstreiter, erzählt er, machen mit, aber nur, solange er selbst dabei ist, sagen sie. "Das ist lieb gemeint", sagt er, "übt aber auch Druck aus." Denn Herr wohnt weiter weg, in Endingen am Kaiserstuhl, organisiert den Verein neben seiner Arbeit als Inhaber einer Zeitarbeitsfirma. Er möchte mehr mit seinen vier Kindern machen, "aber ich schaff’s nicht."
Außerdem: Um die Zukunft des Vereins zu sichern, reicht eine volle Kasse allein nicht aus. Denn der Wandel, mit dem nahezu alle Vereine zu kämpfen haben, trifft auch die Sportfreunde. "Die jungen Leute wollen keine festen Ämter mehr übernehmen, sie arbeiten lieber projektbezogen", beschreibt Achim Herr die Situation. Das war der Grund, weshalb er den Vereinsvorstand wie man ihn gemeinhin kennt – Schriftführer, Kassierer, Beisitzer – abschaffte und ihn durch Teams ersetzte: Festlichkeiten, Infrastruktur, Sponsoring und Verzahnung Jugend-Aktiv. "Auf dem Papier besteht noch die traditionelle Vereinsform, aber gelebt wird etwas anderes. Seit 2007 gab es keine Vorstandssitzungen mehr, nur noch Teamsitzungen."
Der Zukunft der Vereine blickt er dennoch eher pessimistisch entgegen. "Das Ehrenamt wird gesellschaftlich nach wie vor belächelt", sagt er. Dabei sei der gesellschaftliche Mehrwert der Vereine groß. "Aber es kommt zu wenig zurück." Von den Behörden, die ihnen mit immer mehr Auflagen Knüppel in den Weg werfen, aus der Politik, von wo oft nur Sprüche kämen und wenig Unterstützung – und von den Mitgliedern selbst. Deren Anspruchshaltung sei groß, sagt Herr, das Engagement oft klein. "Und das wird irgendwann nicht mehr funktionieren."
Nun hat er sich eine Deadline gesetzt: das 100-jährige Jubiläum des Vereins im Jahr 2020. Das soll nochmal groß gefeiert werden, danach will er den Absprung schaffen. Aber bis dahin gibt es noch einige Veranstaltungen zu organisieren. Jetzt erst mal das nächste Oktoberfest.
Autor: Susanne Ehmann
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